Hundeerziehung ist ein 24-Stunden-Job

Es gibt zwei „Sorten“ von Hundehaltern, die zu mir ins Training kommen. Es gibt die, die auf der Suche nach Antworten auf ihre Fragen sind, die neugierig auf die Beziehung zu ihrem Hund sind und wirklich lernen wollen. Und dann gibt es die, die immer neue Tipps und Tricks von mir geliefert bekommen möchten, damit sie irgendwann DEN Zaubertipp finden, der perfekt in ihr Leben passt und ohne großen Aufwand all ihre Probleme löst.

Es gibt ein paar Sätze, die ich regelmäßig zu hören bekommen. Darunter zum Beispiel: „Kann ich ihn dir nicht einfach mal für ein paar Wochen mitgeben und dann kann er alles?“. Oder noch so ein Klassiker: „Kannst du einfach ab jetzt bei uns wohnen / immer mit uns spazieren gehen?“

Meistens werden solche Sätze mit einem scherzhaften Ton gesagt, aber ein Fünkchen Wahrheit steckt ja doch immer dahinter. Ganz, ganz viele Menschen unterschätzen, wie anstrengend ein Hund sein kann – vor allem in der Anfangsphase der Erziehung. Es ist nämlich nicht damit getan, dass man einmal die Woche pflichtbewusst in die Hundeschule geht und zwischendrin ein bisschen „Sitz, Platz, Fuß“ mit dem Hund übt.

Unsere Hunde sind kein Sportgerät, das wir in den Schrank stellen, wenn wir nicht trainieren oder ein Pferd, das zufrieden auf seiner Weide steht, während wir unseren Alltag leben. Unsere Hunde sind viel näher dran an uns und kriegen jede Seite von uns mit. Sie beobachten uns nonstop und registrieren jede einzelne noch so kleine Interaktion. Sie wissen ganz genau, wer wir sind und wer wir nicht sind, was uns bewusst ist und was uns nicht bewusst ist.

Unsere Hunde machen keinen Unterschied zwischen Interaktionen, in denen wir gezielt etwas üben und Interaktionen, die wir gar nicht richtig wahrnehmen, weil sie zwischen Tür und Angel passieren.

Ein Beispiel, dass ich viel zu oft sehe: Wir arbeiten im Training an der Leinenführigkeit, also daran, dass der Hund sich an uns orientiert und nicht an seiner Leine zieht. Dann bleiben wir stehen, unterhalten uns kurz über ein anderes Thema und währenddessen geht der Hund auf Wanderschaft und hängt sich ins Halsband, um zu schnuppern und zu markieren. Gedankenverloren lässt sein Mensch die Leine irgendwann länger, weil er es nicht merkt, oder weil der Hund ja „nur“ schnuppern will. Wenn wir wenige Minuten später dann weiterlaufen, kassiert der Hund für das gleiche Verhalten wieder Mecker, weil es dem Menschen dann plötzlich auffällt, dass der Hund zieht.

Wie soll dieser Hund jemals verstehen, was die Leine eigentlich bedeuten soll, wenn er von seinem Menschen so inkonsequentes Feedback bekommt? Die Leine ist nur eines von vielen Beispielen, dass ich euch hier nennen könnte. Vielleicht noch ein anderer Klassiker: Warum sollte ein Hund, der schon in der Wohnung keinerlei Grenzen hat, beim Anziehen für den Spaziergang Schnappatmung bekommt und dann mit Vollkaracho das Treppenhaus hinunterrast draußen plötzlich entspannt an der Leine laufen? Das kann nicht funktionieren!

Kiel, September 2021 – Wiedersehen mit meinem Bruder

Erziehung findet nicht nur dann statt, wenn wir uns bewusst darauf konzentrieren oder ein Training besuchen, sondern immer. 24 Stunden am Tag. Jetzt werden einige bestimmt so etwas denken wie „Boooooah, wie anstrengend…“ und das kann es erstmal auch sein. Neue Verhaltensweisen zu etablieren ist anstrengend – gar keine Frage! Aber gleichzeitig ist es auch eine super Chance, denn auch wenn wir einen vollen Alltag haben, viel arbeiten und noch andere Verpflichtungen als unsere Hunde haben, können wir sie trotzdem gut erziehen, weil das eben nicht voraussetzt, dass wir jeden Tag stundenlang trainieren und auslasten. Es setzt nur voraus, dass wir aufmerksam sind und verstehen lernen, was unsere Hunde brauchen, an welchen Stellen im Alltag die Wurzel unserer Probleme liegen und dass wir die Verantwortung dafür übernehmen, diese Dinge zu ändern.

Ich kann euch natürlich dabei unterstützen. Ich kann versuchen, euch die Augen zu öffnen und euch Lernmaterialien verschiedenster Art zur Verfügung stellen. Aber die tatsächliche Arbeit müsst ihr selbst machen. Jeden Tag. Bei jeder Interaktion. Das hat auch ganz, ganz viel mit Verbindlichkeit und Verlässlichkeit zu tun – eine Grundvoraussetzung dafür, dass wir das Vertrauen und den Respekt unserer Hunde gewinnen können. Ein Hund kann sich nur dem anschließen, der auch wirklich zur Stelle ist – körperlich, aber vor allem auch gedanklich.

Das bedeutet es nunmal, einen Hund als Sozialpartner zu haben. Wenn euch das zu viel und zu anstrengend ist, dann ist ein Hund vielleicht nicht die richtige Wahl und ihr werdet mit einer Katze glücklicher. Oder ihr findet euch eben damit ab, dass ihr nur Anker am Ende der Leine, Futterspender und Quelle für Streicheleinheiten seid. Dann verpasst ihr aber ganz, ganz viel der Tiefe und Innigkeit, die die Beziehung zu einem Hund haben kann. Und eigentlich verpasst ihr damit auch euren Hund selbst.

Zurück
Zurück

Interaktionen im Rudel mit läufiger Hündin

Weiter
Weiter

Taiga und Sam im Gespräch // Übungsaufgabe